Marita Lück

 

© Marita Lück: Auszug aus ihrem Buch “Im Zauberkreis der Feen”,

Zürich und Düsseldorf 1997



Auf den Fährten der Feen

Einleitung


Dieses Buch zeichnet die Lebenslinien der inselkeltischen Feen nach, die sich im Volksglauben, in den Märchen und Mythen Irlands und der britischen Inseln weitaus farbenfroher erhalten haben als auf dem europäischen Festland.

“Seit dem Jahr 52 vor unserer Zeitrechnung haben die Völker Westeuropas vergessen, wer sie einmal gewesen sind” (i), sagt der Keltologe Jean Markale, denn in jenem Jahr ereignete sich die entscheidende Niederlage des Keltenfürsten Vercingetorix gegen die Römer. Von nun an begann das Regiment der griechisch-römischen Geisteshaltung, und der Glaube an die Logik und die Vernunft drängte das alte keltische Weltbild allmählich in den Untergrund. Die keltische Wirklichkeitsauffassung hingegen war noch geprägt von einem Denken in Bildern, in dem die reale Welt und die spirituellen Reiche der Feen nahtlos ineinanderflossen.

Doch das Echo der keltischen Kultur, die vor der Zeitenwende einst von der Iberischen Halbinsel bis Ankara, von Norditalien bis in nach Irland reichte, läßt sich nun wieder leise, aber deutlich vernehmen.

Heute wispert das keltische Erbe zwischen den Zeilen zahlloser Romane, es schimmert aus Comics und Kinofilmen, und Archäologen heben Schätze aus keltischen Fürstengräbern wie jenen unter dem Glauberg in Hessen, wo in den Erdschichten Schwerter, Schnabelkannen und mit Fabeltieren verzierte Schmuckstücke schlummerten. Vor 2500 Jahren begleiteten diese Grabbeigaben die toten Keltenfürsten auf der Reise in die “Andere Welt”, die Heimat der Gottheiten und Feen, die in den Augen der Kelten als ebenso wirklich galt wie das Diesseits.

Keltische Feengestalten sind Zeugen einer “Archäologie der Seele”; so wie die Goldschätze aus den Fürstengräbern können sie von einer versunkenen, doch unter der Oberfläche lebendig gebliebenen Ebene der Menschheitsgeschichte erzählen. Es ist der Zweck des vorliegenden Buches, ihre Botschaften zu entschlüsseln und in eine unserer Zeit angemessene Sprache zu kleiden.

Die Tiefenpsychologie bietet dabei einen Zugang zu den Geheimnissen der Feen; daneben gibt es noch andere, spirituelle Brücken in die Anderswelt, die in diesem Buch freilich nur sehr leise mitschwingen. Ich folge damit dem Rat einer Fee, den der irische Dichter William Butler Yeats im “Keltischen Zwielicht” festhielt: Sei vorsichtig und suche nicht, zuviel über uns zu wissen.

Bevor wir in die “Anderen Welten” der keltischen Phantasie und in die Tiefen der menschlichen Seele eintauchen, die sich in den folgenden Kapiteln wie die verschlungenen Linien eines keltischen Flechtbandmusters entfalten, möchte ich einige warnende Worte vorausschicken:

Wer mit den Märchensammlungen der Gebrüder Grimm aufwuchs, dürfte die Feen als einflussreiche, jedoch recht eindimensionale “Schicksalsfrauen” kennen, deren Aufgabe sich darin erschöpft, drei Wünsche zu gewähren und Gutes zu bewirken - es sei denn, wir haben es mit einer beleidigten “dreizehnten Fee” zu tun, die mit Flüchen um sich wirft und von ihren zwölf wohlmeinenden Kolleginnen in Schach gehalten werden muß. Doch jene hauchartigen und lieblichen Geschöpfe, die in den Kinderstuben des kontinentalen Europa als “Feen” ihr Wesen treiben, bilden nur einen dünnen Strang im facettenreichen Geflecht inselkeltischer Feengestalten.

Im inselkeltischen Raum, also in Irland, Schottland, Wales sowie in einigen entlegenen Gebieten Englands hat sich eine Feentradition bewahrt, die tief in die archaischen Wurzeln der keltischen Kultur hinabreicht, und jene luftigen, gesitteten, wunderschönen, möglichst auch noch blondgelockten Lieblichkeiten haben mit den keltischen Feen etwa soviel gemeinsam wie die Libelle mit dem Adler - oder ein Elflein im rosa Petticoat mit einer feuersprühenden Schicksalsfee im rabenschwarzen Gefieder.

Wer den Spuren der inselkeltischen Feen folgt, der findet sich alsbald konfrontiert mit himmelhoch lodernden Flammengestalten und zwitschernden bunten Winzlingen, mit blutrünstigen Unholden und behaarten Kobolden, die Säuglinge und Hebammen stehlen, aber auch Menschen mit Reichtum oder musikalischer Begabung beglücken.

Betörende Schönheiten, durchaus blondgelockt, ziehen mit Sirenengesängen Scharen von Liebhabern in wäßrige Untiefen, und weißfingrige Waldwesen greifen mit knorrigen Krallen nach ahnungslosen Wanderern.

Wer sich auf die Fährten der keltischen Feen begibt, kann zwischen alle Nesseln geraten, denn ihre verschlungenen Pfade führen hinaus aus der staubtrockenen Wüste unserer von der “Göttin Vernunft” regierten Alltagswelt. Wir lassen den dezent parfümierten Seifengeruch des klinisch reinen rationalen Denkens zurück und stecken unsere Nase tief ins Gewirr der Wildnis und der Wälder, um den Duft der bittersüßen Weißdornblüten zu erfahren, der jeder keltischen Fee in einer Falte ihres Gewandes anhaftet.

Wir werden durch die dunklen Gänge steinzeitlicher Kammergräber kriechen, in heilige Haine und Quellen tauchen, über schottische Highlands und sagenumwobene Inseln schweifen, und auch - verwegenerweise - über die geheimnis- und skandalumwitterten “Kornkreise” der 80er und 90er Jahre unseres Jahrhunderts.

In den Gefilden der Feen erwarten uns “Biester und Beauties”, Blondgelocktes und Schwarzbehaartes, Glückseligkeit und Entsetzen, staunendes Erschauern, Wahnsinn und Ekstase, denn wenn wir die Feenlandschaften der Inselkelten betreten, dann durchwandern wir auch das Labyrinth der menschlichen Seele und erleben das geistige Abenteuer der menschlichen Bewußtseinsentwicklung, deren Schritte die Feen - von den Anfängen bis zur Gegenwart - getreulich begleiten.





In Feen-Kreisen.

Begegnungen zwischen Menschen und Feen


1. Verführungen und fatale Affären


Obwohl selbst gute Musikanten, ziehen die Feen gerne junge Musiker oder begabte Handwerker in ihre Kreise, und amouröse Verwicklungen zwischen Menschen und Feen sind Legende. Es überwiegen die Fälle, in denen sich Feen den Menschen nähern, und nicht umgekehrt.

   Die gefährlichsten Verführer und Verführerinnen in Feengestalt leben im Wasser, es sind Geschöpfe wie der Kelpie, der sich mit jungen Mädchen auf seinem Rücken ins Meer stürzt, oder Lamien-ähnliche Schönheiten wie die Leanhaun Shee, die ihre Liebhaber wie Vampirinnen aussaugen und in den Tod ziehen.

   Auch die Mermaids, die Wassernixen, verfügen über fatale Verführungskräfte, die sie so berüchtigt machten, daß allein ihr Anblick den Seefahrern den sicheren Tod verhieß. Es gab sie nicht allein im Meer, sie zogen die Flüsse hinauf wie die Lachse und lauerten auch in Tümpeln und Seen. (1)

Die Sagen um die französische Fee Pressina aus dem 14.Jahrhundert sollen, obwohl nicht inselkeltisch, kurz Erwähnung finden. (2) Pressina lebte in einer Quelle, und ihre Gesänge weckten die Liebe des traurigen Königs Elinas, der so lange um die Quelle strich und nicht lockerließ, bis die Fee in eine Heirat einwilligte. Hier ist es also der Mensch Elinas, der auf der Verbindung mit der Fee bestand. Aber wie die meisten sogenannten “Mahrtenehen” zwischen Sterblichen und Feen zerbrach das Liebesglück, als der Ehemann seiner Neugier nicht Herr werden konnte und seine Gattin besuchte, als sie im Kindbett lag. Pressina nahm ihre drei neugeborenen Töchter und verschwand.

Während Pressina ihr wässriges Element nie verließ, greifen andere menschliche Ehemänner zu erpresserischen Methoden, um ihre ursprünglich tiergestaltigen Feenfrauen ans irdisch-häusliche Milieu und eine menschliche Erscheinungsform zu binden: Die Männer verstecken das Federkleid ihrer Frau, wenn sie einst als Vogel gelebt hat, oder deren Fell, wenn sie zu den Selkies, den Seehundfeen, gehört. Die folgende Version wurde auf den Orkney-Inseln im Norden Schottlands erzählt:

“Es geschah eines Tages, daß der gute Mann von Wastness unten am Strand ein Grüppchen von Selkies gewahrte. Einige sonnten sich auf einem flachen Felsen, andere spielten und sprangen fröhlich umher. Alle waren nackt und hatten ebenso weiße Haut wie der gute Mann. Der Fels, auf dem sie turnten, ragte auf der Seeseite in tiefes, auf der Strandseite in seichtes Wasser, und der Mann kroch unbemerkt bis zum Rand des flachen Tümpels. Hier sprang er auf und eilte durchs Wasser hinüber zum Felsen. Die erschrockenen Selkies griffen nach ihren Seehundfellen und stürzten sich in wilder Hast zurück in die See. So flink sie auch waren - der gute Mann war ebenfalls flink, und er schnappte sich eines der Felle, das einem unglückseligen Mädchen gehörte. Sie hatte vor lauter Schreck vergessen, es an sich zu reißen, bevor sie ins Wasser floh.”

Das Selkie-Volk schwamm hinaus in die See, drehte sich in sicherer Entfernung um, steckte die Seehundgesichter aus dem Wasser und beäugte den guten Mann Er bemekte, daß eines von ihnen nicht aussah wie die anderen. Dann nahm er das Seehundfell und machte sich über den Strand auf den Heimweg, doch bevor er das trockene Land erreichte, hörte er hinter sich das bitterlichste Weinen und Klagen. Er wandte sich um und sah eine schöne Frau, die ihm folgte. Es war jene aus dem Selkie-Volk, deren Fell er an sich genommen hatte. Sie bot einen kläglichen Anblick, schluchzte in schrecklichem Kummer, streckte flehentlich die Hände aus, und dicke Tränen perlten über ihr Gesicht. Immer wieder rief sie aus: “Oh guter Mann! Wenn nur ein klein wenig Mitleid in Deiner Menschenbrust wohnt, gib mir mein Fell zurück! Ich kann nicht, kann nicht ohne es leben in der See. Ich kann nicht, kann nicht sein unter meinesgleichen ohne meine eigene Seehundhaut. Oh hab Mitleid mit einem armen verzweifelten Mädchen!” (3) Und auf diese Weise kam der gute Mann von Wastness zu einer treusorgenden Ehefrau, denn er behielt ihr Fell und versteckte es an sicherem Ort.

Doch nicht alle Feen lassen sich so leicht fassen: Oisins Vater Finn verliebte sich in eine weiße Hirschkuh namens Saeve, die während einer seiner Jagdausflüge vor ihm hersprang, doch nie ganz eingeholt werden konnte. Des Nachts erschien sie ihm in ihrer “wahren” Gestalt als überirdisch schöne Frau aus den Feenhügeln. Danach suchte er sieben Jahre vergeblich nach der Geliebten und fand am Ende nicht sie, sondern den gemeinsamen Sohn Oisin, den sie in den Wäldern aufgezogen hatte.

Verführerische Wesen aus der Feenwelt sind nicht immer weiblich. Fast ebenso viele Geschichten ranken sich um Feenkönige und andere -gestalten, die junge Mädchen in ihre Burgen ziehen, mit ihnen Familien gründen und so dem Feengeschlecht frisches Blut zuführen. Dem irischen “Love Talker” geht es hingegen nur um Sex: Er treibt sich in Schluchten herum und spielt Flöte wie der Rattenfänger von Hameln. Junge Mädchen finden ihn unwiderstehlich, aber nach dem Beischlaf löst er sich in Luft auf, und die Mädchen siechen dahin, bis sie vor Sehnsucht sterben. Auf der Isle of Man verprügelte eine Mutter ihre offenbar magersüchtige Tochter, da eine solche Erkrankung auf Verkehr mit den Feen zurückgeführt wurde. Das Mädchen starb an den Folgen der Mißhandlung durch die Mutter, und man nahm nun an, sie habe sich endgültig mit den Feen eingelassen.

Gewisse Gefahren drohen aber auch den Jenseitigen, wenn sie sich an irdischen Bräuten vergreifen. Dem mythischen König Midir, einem Häuptling der Tuatha Dè Danaan, gelang es nach unermüdlichem Zauberharfenspiel und vielen anderen Liebeswerbungen, das Objekt seiner Begierde in seinen Feenpalast zu locken. Es handelte sich um Etain, die uns bereits als umwerfende Schönheit im Bade begegnete. Sie folgt König Midir freiwillig, denn sie war selbst einst eine Fee, die jedoch als menschliche Prinzessin wiedergeboren wurde und ihre Abstammung aus den Feenhügeln vollkommen vergessen hatte. Ihr zorniger irdischer Ehemann grub sämtliche Feenhügel Irlands auf und zerstörte damit die Behausungen der Tuatha Dè Danaan, und es heißt, daß so ihre Macht versiegte - sie wehen nur mehr als “Das Kleine Volk” über Irland. Diese volkstümliche Version der Erzählung zeigt eine Verlagerung der Sympathien von den Feen zu den Sterblichen, denn am Ende kehrt die gestohlene Braut zu ihrem irdischen Gatten zurück.

Die ursprüngliche Fassung hingegen befindet sich im irischen Ulster-Zyklus und endet zugunsten der Jenseitigen: Midir singt sein verführerisches Lied vom Land der ewigen Jugend, dem Etain nicht widerstehen kann, und das Paar entschwebt in der Gestalt zweier Schwäne, die mit goldenen Ketten aneinander gebunden sind. Er führt sie heim in die Anderswelt, wo sie vor 1200 Jahren zum ersten Mal geboren worden war.



Anmerkungen


(i ) Jean Markale: Die Druiden. München 1989, S. 7


(1) Diese Geschichten von gefährlichen Feenfrauen zeigen immer deutlicher eine Abwehr gegen das Weibliche. Während sich im keltischen Mythos der Held zuweilen noch auf eine Verbindung mit einer Fee einläßt, um gereift und um einiges weiser aus der Anderswelt zurückzukehren, berichten die späteren Feensagen immer häufiger von heimtückischen  weiblichen Gestalten, denen mit Argwohn zu begegnen ist. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, daß das Weibliche im Verlauf unserer Kulturgeschichte zunehmend mit dem emotionalen und irrationalen Bereich gleichgesetzt - und verächtlich gemacht - wurde.


(2) Pressina ist die Mutter der Melusine, deren Unterleib an jedem Samstag zum Schlangenkörper wurde.


(3) Walter Traill Dennison: Orkney Folklore and Sea Legends, Kirkwall 1995, Übersetzung/Nacherzählung von M.L.