Doris Eikhof

 


Karriere mit Baby und Blackberry


Als ich ein klein war sagte mein Mutter haeufig zu meinem Bruder und mir: "Ich hab euch ganz doll lieb - vor allem, wenn ihr schlaft." Damals fand ich diesen Satz lustig. Heute, ein Jahr nach der Geburt meiner Tochter, verstehe ich, was sie wirklich meinte. Kinder sind gleichzeitig ein grosses Glueck und anstrengender als ein Marathon. Mit zwei Kindern innerhalb von 15 Monaten wird meine Mutter, eine positive und robuste Frau, regelmaessig auf dem Zahnfleisch gekrochen sein. Jede Stunde Babyschlaf war mit Sicherheit eine willkommene Erleichterung, soviel ist mir jetzt klar. Meine Mutter hat die Zeit mit uns trotzdem genossen, das versichert sie mir glaubwuerdig genug. 


Auch ich geniesse die Zeit mir meiner Tochter - meistens. Mein Elterndasein mit Kleinkind findet 35 Jahre nach dem meiner Mutter statt, und in diesen dreieinhalb Jahrzenten hat sich fuer Frauen in Westeuropa viel veraendert. Meine Mutter verabschiedete sich Mitte der 1970er von ihrem Beruf als Chefsekretaerin und blieb zehn Jahre lang mit meinem Bruder und mir zu Hause. Als sie mit dem Gedanken spielte, wieder arbeiten zu gehen, rief ihr ehemaliger Chef an. Er habe in den vergangenen zehn Jahren drei Sekretaerinnen gehabt, keine habe ihm wirklich gefallen, koenne meine Mutter nicht bitte, bitte zurueckkehren, sie duerfe auch Teilzeit arbeiten, sich ihre Stunden aussuchen und bekaeme Tantiemen. Und so kehrte meine Mutter nach zehn Jahren Elternzeit in genau die Position zurueck, die sie fuer uns Kinder aufgegeben hatte - nur mit deutlich besseren Konditionen. Ein Gluecksfall, sicherlich, aber lange Kinderpausen waren noch vor wenigen Jahrzehnten die Regel, nicht die Ausnahme. Viele Freundinnen meiner Mutter kehrten ueberhaupt nicht in ihre Berufe zurueck und verdienten nie wieder ihr eigenes Gehalt. Und niemand fand das besonders ungewoehnlich.


Fuenfundreissig Jahre spaeter sieht die Welt - vor allem, die Arbeitswelt - fuer Frauen ganz anders aus. Wer nach der Geburt eines Kindes in seinen Beruf zurueckkehren und keinen ersthaften "Karriereknick" hinnehmen moechte, kann sich eine Babypause von mehr als einem Jahr nicht mehr erlauben. In meinem Beruf als Universitaetsdozentin und Forscherin reichen schon wenige Monate, um den Anschluss zu verlieren. Nach der Geburt meiner Tochter habe ich sechs Monate Elternzeit genommen, habe aber in jeder dieser rund 26 Wochen gearbeitet. Nicht unbedingt Vollzeit, aber sicherlich im Schnitt 10-15 Stunden. Und meist ohne Kinderbetreuung. Waehrend meine Tochter schlief.


In dieser Hinsicht bin ich nichts besonderes im Kreise meiner Universitaetskolleginnen. Obwohl die wenigsten von uns gleich in den Lehrbetrieb zurueckgegangen sind, sassen und sitzen fast alle sobald wie moeglich wieder am Schreibtisch und schrieben Aufsaetze und Forschungsberichte, werteten Daten aus, korrigierten Doktorarbeiten und begutachteten Projektantraege. Waehrend unsere Babies schliefen (schlafen!) erledigten wir schnell so viel Haushalt wie unbedingt noetig und taten so viel fuer die Karriere wie irgend moeglich. Smartphones ermoeglichen es uns, auch noch den kurzesten Babyschlummer fuer ein paar Emails an Kollegen oder ein schnelles Telefonat mit der Doktorandin zu nutzen. Solch informelles Arbeiten waehrend der Elternzeit hat einige Vorteile: die Mutter kann zu Hause bleiben, das Baby muss nicht gleich in die Krippe gehen und man spart sich die Ausgaben fuehr die Kinderbetreuung zu einer Zeit, in der Geld sowieso eher knapp ist.


Aus meiner Forschung ueber Frauenarbeit weiss ich, dass es vielen Frauen heute so geht, vor allem denjenigen mit guter Ausbildung und in Wissensberufen. Als Internet und Email in die Arbeitswelt Einzug hielten, waren die Hoffnungen gross. Die Moeglichkeit, Arbeit mit nach Hause zu nehmen und sich Arbeitszeit selbst einzuteilen, war - und ist - vor allem fuer Frauen mit Familie interessant. Nach nun bald zwanzig Jahren Erfahrung mit flexiblem Arbeiten und moderner Kommunikationstechnology wissen wir aber mittlerweile, dass die schoene neue Arbeitswelt nicht uneingeschraenkt positiv ist, vor allem nicht fuer Frauen. 


Internet, Emails und Smartphones haben eine Arbeitskultur verbreitet, in der wir jederzeit und ueberall arbeiten koennen und staendig erreichbar sind. Das ist Segen und Fluch gleichzeitig, egal ob mit oder ohne Kinder. Auf der einen Seite erweitert sich der Radius, in dem wir unsere Arbeit verrichten koennen. Wir koennen mit Kollegen in Rio de Janeiro oder Sydney eng zusammenarbeiten, ohne im gleichen Zimmer sitzen zu muessen. Wir koennen ausserhalb der Stadt im Gruenen wohnen und auf dem Weg zum Buero im Zug arbeiten. Und natuerlich bieten sich so neue Moeglichkeiten, Privatleben und Beruf miteinander zu verbinden, Kinder und Karriere oder eine Beziehung in Hamburg mit einem Job in Berlin. Wir koennen um 15.30h das Buero verlassen, unsere Kinder vom Kindergarten abholen und abends zu Hause weiterarbeiten, wenn die Kleinen im Bett sind. Moderne Kommunikationstechnologie macht heute vieles moeglich, was fuer die Generation meiner Mutter undenkbar war.


Auf der anderen Seite verwischen Internet, Email und Smartphone Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben auf eine Art und Weise, die durchaus nicht nur positiv ist. Weil wir jederzeit erreichbar sein koennen wird erwartet, dass wir auch jederzeit erreichbar sind. Dass wir nach dem Familienabendbrot Emails beantworten statt mit unserem Partner fernzusehen, zur Chorprobe zu gehen oder ein Buch zu lesen. Einer Umfrage in den USA zufolge benutzen 60% der Befragten ihr Smartphone im Bett und 83% rufen per Smartphone waehrend des Urlaubs Emails ab. Mit dem Smartphone haben wir die Arbeit jederzeit in der Jackentasche dabei und schalten nie voellig ab. Umgekehrt geht es allerdings auch: per Telefon, Email, Twitter und Facebook sind wir auch am Arbeitsplatz jederzeit fuer Familie und Freunde zu erreichen. Gegen ein bisschen Ablenkung durch Facebook & Co in der Mittagspause haben die meisten Unternehmen nicht wirklich viel einzuwenden. Allerdings verbringen immer mehr Arbeitnehmer so viel Arbeitszeit mit privater Computernutzung, dass Arbeitgeber sich ueberlegen muessen, wie sie ihre Mitarbeiter dazu bekommen, sich besser auf den Job zu konzentrieren. Fazit: dank moderner Kommunikationstechnologie sind wir weder im Job noch im Privatleben mehr voll bei der Sache.


Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben betrifft viele Erwerbstaetige, Maenner ebenso wie Frauen. Wenn Frauen jedoch die Moeglichkeiten der Kommunikationstechnologie ausnutzen wollen, um teilweise oder ganz von zu Hause aus zu arbeiten und ihren Beruf besser mit Familienverpflichtungen zu vereinbaren, dann stehen sie noch einer ganzen Reihe anderer Probleme gegenueber. Auch heute noch werden Frauen, die von zu Hause aus arbeiten, deutlich weniger Ernst genommen und respektiert als Maenner, die von zu Hause aus arbeiten. Jahrhundertelang war Frauenarbeit synonym mit unbezahlter Arbeit im Haus - kochen, putzen, einkaufen, Kinder versorgen - und mit angenehmen Taetigkeiten, die eigentlich gar nicht als Arbeit zaehlten - Abendessen ausrichten, das Haus schmuecken, Freundschaften pflegen. Beides, unbezahlte Arbeit und die angeblich angenehmen Seiten des Hausfrauendaseins, wurden als weit weniger wertvoll angesehen als die Berufe, denen Maenner typischerweise ausserhalb des Hauses nachgingen. Auch wenn die strikte Arbeitsteilung Hausfrau/berufstaetiger Mann mittlerweile ueberholt ist, haben Studien gezeigt, dass die mit ihr verbundenen Verstellungen noch kraeftig nachwirken. Wenn Maenner von zu Hause aus arbeiten, wird das meist ungefragt Ernst genommen. Frauen hingegen werden im Haus als zu Hause angesehen: als bestenfalls mit hausfraulichen Arbeiten beschaeftigt und grundsaetzlich ansprechbar. Von Frauen, die zu Hause arbeiten, wird typischerweise erwartet, dass sie sich gleichzeitig um den Haushalt kuemmern - in der Mittagspause einkaufen gehen oder zwischen zwei Telefonaten die Waesche machen. An Maenner werden derlei Erwartungen deutlich seltener gestellt. Der niedrigere Stellenwert von Frauenarbeit im Haus zeigt sich sogar in der Raumaufteilung: Forscher haben zeigen koennen, dass Maenner zu Hause typischerweise in speziell eingerichteten Arbeitszimmern arbeiten, waehrend Frauen sich mit einem Schreibtisch im Wohnzimmer oder einem Laptop auf dem Kuechentisch begnuegen muessen. Wenn Frauen zu Hause arbeiten, wird ihrer Arbeit weniger Respekt entgegen gebracht - egal, ob es sich um Hausarbeit oder Erwerbsarbeit handelt.


Das Arbeiten von zu Hause aus hat noch einen weiteren Nachteil: wer zu Hause arbeitet, ist im Buero unsichtbar. Mittlerweile existieren eine ganze Reihe von Studien ueber das Verhaeltnis von Vorgesetzten und Kollegen, die ausschliesslich im Buero arbeiten, zu Mitarbeitern, die einen groesseren Teil ihrer Arbeitszeit von zu Hause aus arbeiten. Bueroarbeiter, das zeigen die Studien, denken oft, dass wer von zu Hause aus arbeitet eigentlich nicht wirklich arbeitet. Arbeit im Buero ist die "richtige", "harte" Arbeit. Wer von zu Hause aus arbeitet, so die gaengige  Meinung, leistet nicht so viel wie diejenigen, die im Buero schuften. Obwohl diese Meinung oft unbegruendet und schlicht falsch ist, spielt sie zum Beispiel bei Befoerderungen oder bei Entscheidungen darueber, wer interessante und anspruchsvolle Aufgaben zugewiesen bekommt, eine entscheidende Rolle. Fuer viele Frauen wird Heimarbeit auf diese Weise zum Karrierehindernis: sie verdienen zwar weiterhin Geld, aber verlieren an Einfluss im Kollegenkreis und bekommen weniger Chancen, sich ihre Befoerderung zu verdienen.


Und das sind die Gruende, warum ich eingangs geschrieben habe, dass ich die Zeit mit meiner Tochter meistens geniesse - meistens, nicht immer. Moderne Kommunikationstechnologien haben es mir und vielen anderen Frauen moeglich gemacht, auch mit Baby zu arbeiten und an unseren Karrieren zu basteln. Heutzutage sind mehr Frauen berufstaetig als je zuvor; eine Entwicklung, die fuer die Gesellschaft insgesamt zu begruessen ist. Es waere falsch, diese Fortschritte herunterzuspielen. Aber weil Kommunikationstechnologien und flexibles Arbeiten gerade fuer Frauen so viele Nachteile haben, schliessen viele Frauen einen faulen Kompromiss nach dem anderen und zwar in vollem Bewusstsein, dass Maenner, auch nach 100 Jahren Emanzipation, diese Kompromisse so nicht eingehen muessen. Immer mehr Frauen tun sich schwer damit, angesichts dieser Kompromisse mit ihrem Leben zufrieden zu sein. In den USA hat der Trend des "Opting Out" Schlagzeilen gemacht: angeblich ziehen sich dort immer mehr gutausgebildete Frauen in ein Dasein als Vollzeit-Hausfrau und Mutter zurueck, weil ihnen die faulen Kompromisse zwischen Karriere und Familie den Aufwand nicht mehr Wert sind. Verstaendlich, aber gefaehrlich, denn je weniger Frauen in der Arbeitswelt aktiv sind, desto ungleicher wird unsere Gesellschaft. Eine Arbeitswelt, in der Maenner und Frauen gleichberechtigt Karriere machen, ist moeglich, aber es ist noch ein weiter Weg dorthin. Bis dahin bleibt nur zu hoffen, dass genug Frauen die Energie haben, durchzuhalten - und zu arbeiten, wenn ihr Baby schlaeft. Fair ist das mit Sicherheit nicht, und wahrscheinlich auch ein gutes Stueck ungesund fuer junge Muetter. Aber leider geht es im Moment noch nicht anders.